Das Portal

 

Corinna, Corinna, komm schnell her! Das mußt du sehen!“

Aufgeregt wie ein kleiner Junge fuchtelte Karl mit den Armen.

Corinna, komm – das mußt du überprüfen! Bitte!“

Zappelig rutschte Karl auf seinem Sessel vorm Computer hin und her.

Corinna!!! Sieh doch mal! Ich habe es zigmal geprüft und kann keinen Fehler entdecken!“

Corinna beugte sich zu dem Bildschirm.

Ok“ sagte sie, „was gibt’s denn so dringendes?“

Ich bin ganz durch Zufall auf diese Formel gestoßen. Und ich kann es selbst kaum glauben!

Wenn diese Formel korrekt ist – habe ich die Möglichkeit entdeckt, ein Sternentor zu bauen.

Und laut dieser Formel kämen wir so einfach zu fremden Planeten, als ob man nur durch eine Tür ginge.

Nur ein Schritt und man steht auf fremdem Boden.“

Nun mal langsam,“ gab Corinna zur Antwort.

Laß mal sehen....“

Und Corinna setzte sich an den PC und vertiefte sich in Karls Arbeit.

Corinna und Karl arbeiteten schon seit Jahren zusammen, um die Frage zu lösen, ob und wie der Weltraum mit seinen unzähligen Sternen und deren Planeten für Menschen greifbar werden könnte.

Doch die immensen Entfernungen machten die Aufgabe nicht leichter.

Seit Jahrtausenden starrten die Menschen in den Sternenhimmel und suchten nach Antworten.

Nun prüfte Corinna wieder und wieder die Entdeckung Karls.

Doch auch sie konnte keinen Fehler entdecken.

Aufgrund dieser Formel war es tatsächlich möglich, ein Sternentor zu errichten.

Aber von einer Formel zu einem praktikablen Tor war es ein weiter Weg.

Doch Corinna und Karl machten sich auf genau diesen Weg.

Die Formel wurde publiziert.

Hunderte von Wissenschaftlern aus aller Welt prüften sie.

Regierungsinstitute auf der ganzen Welt wurden hinzugezogen.

Die Presse stürzte sich auf die Aussicht, fremde Planeten zu besuchen.

Corinna und Karl wurden umjumbelt, auch wenn den Beiden das gar nicht behagte.

Konferenzen wurden gehalten, um den günstigsten Standort zu ermitteln.

Ausschreibungen für die Herstellung der Bauteile wurden veröffendlicht.

Gelder mußten beschafft werden, denn der Bau war äußerst kostspielig.

Auch war die Umsetzung der Formel in ein echtes Sternentor mit Komplikationen verbunden.

Tausende Wissenschaftler arbeiteten daran.

Und nach vielen Jahren der Forschung, Berechnungen und Planung nahm der Bau seinen Anfang.

Doch auch der Bau selbst war mit Problemen behaftet.

Aber nach all den internationalen Bemühungen war es soweit.

Der Bau war beendet – das Sternentor stand bereit.

Äußerlich sah das Sternentor unspektakulär aus.

Ein großes Gebäude mitten im Nirgendwo.

Rundherum Häuser für das Personal, von den Verantwortlichen bis zur Putzkolonne.

Nur ein Straße führte zu der winzigen Ortschaft, die von dem großen Gebäude beherrscht wurde.

Auch inwendig sah es in dem großen Gebäude aus, wie in jedem Bürohaus.

Nur – im Keller befanden sich Labore.

Ein großer, heller Raum befand sich im Zentrum der Anlage.

In diesem Raum stand das Sternentor.

Die Decke ließ sich öffnen und der klare Himmel wurde sichtbar, lag offen über dem Tor.

Das Sternentor sah auf den ersten Blick aus, wie die Kontrollstellen an Flughäfen.

Doch es ließ sich hochfahren und nach allen Seiten bewegen, damit man jeden Planeten anpeilen konnte.

Im ganzen Gebäude bewegten sich Forscher, Wissenschaftler, Laboranten in weißen Kitteln.

Nun kam endlich die Stunde der Wahrheit.

Das Sternentor wurde zum ersten Mal benutzt.

Ein nußgroßer Eisenball wurde auf die Reise geschickt.

Anhand einer Zeitskala konnte man die Dauer des Aufenthalts bestimmen.

Und wie an einem Gummiband kehrte das Objekt zurück.

Das erste Versuchsobjekt blieb nur Minuten fort.

Und tatsächlich – die Eisenkugel lag pünktlich wieder, wo sie gestartet war.

Allerdings war sie kalt, so kalt wie der Weltraum selbst.

Die Forscher und Wissenschaftler beglückwünschten sich und die Laboranten untersuchten das Objekt.

Abgesehen von der enormen Kälte des Eisens war die Kugel unversehrt.

Auch war die Kugel nicht kontermeniert.

So wurde weiter geforscht, täglich wurden neue Objekte verschickt.

Alle kamen sekundengenau zurück.

Die Testreihen verschlangen wiederum viel Zeit.

Endlich sollte nun ein Organismus geschickt werden.

Spezielle Verfahren wurden entwickelt, den Organismus vor der Kälte zu schützen.

Als Erstes verschickte man Mikroganismen.

Nachdem diese Tests erfolgreich beendet wurden, verwendete man Insekten.

Auch diese kamen unversehrt zurück.

So setzten sich die Versuche fort.

Die Versuche wurden mit kleinen Säugern fortgesetzt.

Es folgten irgendwann Katzen und Hunde.

Die Zeitspannen wurden erhöht.

Die Tiere kamen pünktlich und ordnungsgemäß zurück.

Doch waren sie alle völlig verstört und irreparabel verängstigt.

Man bedauerte die Tiere,  jedoch maß man dem  keine größere Bedeutung bei – schließlich konnte man den Tieren nicht erklären, daß sie auf fremden Platenten gewesen waren.

Es mußte sie ja verwirren.

Nach all den Vorbereitungen, Forschungen und Tests wurden nun Primanten auf die Reise geschickt.

Der Planet, zu welchem sie reisten war durch die speziellen Teleskope gut zu erkennen.

Leider konnte man aber die Reise selbst nicht beobachten.

Die Zeitspannen der Reise zogen sich inzwischen über ein oder zwei Tage hin.

Obgleich die Testaffen gut geschult und handverlesen waren, konnten sie doch nicht verstehen, was mit ihnen geschah.

Mehrere der Affen beherrschten die Gebärdensprache.

Nach ihrer Rückkehr fragten die Forscher sie nach dem Erlebten.

Doch die Affen verweigerten die Antworten oder erklärten: da war nichts.

Auffallend war nur, daß sich alle weigerten, noch einmal Tests vornehmen zu lassen oder gar das Tor zu nutzen.

Sie führten sich so ängstlich und verwirrt auf, daß es keinen Sinn gehabt hätte, sie noch einmal hindurch zu schicken.

Im Gegenteil: sie saßen nur verängstigt und apathisch in ihren Käfigen, verweigerten die Nahrung, bis sie letztendlich starben. 

Doch die Tests wurden fortgeführt.

Karl und Corinna waren ebenfalls am Institut.

Sie waren aber nur als Beobachter dabei, doch war die Anlage ja auf ihre Ergebnisse hin gebaut worden.

Und die Beiden warteten auf die ersten Versuche, Menschen reisen zu lassen.

Karl hatte gehofft, selbst das Tor benutzen zu können.

Doch die Jahre gingen dahin.

Nun würde er bestimmt nicht als erster Mensch die Reise antreten.

Für diese erste Reise hatte man Astronauten speziell ausgebildet.

Man hatte sich darauf geeinigt, sie anfangs nur für eine Stunde reisen zu lassen.

Später sollte der Zeitrahmen verlängert werden.

Gut ausgerüstet, gut ausgebildet und gespannt, aber ruhig gesammelt stand nun endlich der erste Mensch bereit, das Sternentor zu nutzen.

Der Astronaut stieg durch das Portal und verschwand aus dem Blickfeld der Wissenschaftler.

Diese Stunde zog sich endlos dahin, bis der Pionier zurückkehrte.

Und als er zurückkehrte stand ihm noch immer das Grauen ins Gesicht geschrieben.

Sofort war er von Experten, Ärzten und Wissenschaftlern umringt.

Gesundheitlich war alles in bester Ordnung.

Doch, was er zu berichten hatte, schockierte alle Anwesenden.

Er war durch das Portal geschritten und hätte auf dem ausgesuchten Planeten stehen sollen.

Aber – da war nichts.

Kein Planet, keine Staubwolke – nichts.

Eine Stunde war er im leeren Raum getrieben.

Auch um ihn herum gab es keine Planeten, nicht einmal eine Sonne hatte er entdecken können.

Nur das leere All.

Zwar konnte der Astronaut Bericht erstatten, war körperlich unversehrt, doch hatte er einen schweren psychichen Schaden erlitten, von dem er sich nie mehr gänzlich erholte.

Nun war auch die Verwirrung der Testaffen klar.

Die verstörten Tiere trieben bis zu zwei Tage in dieser Leere.

Und ihre Versuche, den Menschen das mitzuteilen, waren nicht verstanden worden.

Nun ging das Rätselraten um...

Was war schiefgegangen?

Warum war der Pionier nicht auf dem Planeten aus dem Tor getreten?

War das Portal falsch ausgerichtet?

Man fand keine Antwort.

Ein neuer Versuch wurde gestartet.

Ein anderer Planet ausgewählt.

Ein anderer Astronaut geschickt.

Dieser wurde auf die mögliche Leere vorbereitet.

Vorbereitungen und Vorsichtsmaßnahmen ohne Ende wurden getroffen....

Dann kam der große Augenblick.

Die Testperson trat durchs Portal.

Und kehrte entsetzt nach einer Stunde zurück.

Auch dieser Astronaut hatte im leeren Raum weder Planeten noch eine Sonne entdecken können.

Auch seine Aufzeichnungsgeräte zeigten wie bei seinem Vorgänger nur Leere.

Nun war auch klar, warum das erste Testobjekt so kalt gewesen war und warum alles gegen diese Kälte geschützt werden mußte.

Es gab nur den eisigen Weltraum selbst.

Trotzdem gingen die Versuche weiter.

Ein Planet nach dem anderen wurde ins Visier genommen.

Doch es war überall das Gleiche.

Das All war leer.

Von der Erde aus gut zu sehen – mit Teleskopen und Richtspiegeln in der Umlaufbahn ...

Doch vor Ort gab es nichts.

Der Sternenhimmel war nicht, was er schien.

Es gab keine Sonnen mit Planeten um unser Sonnensystem herum.

Es gab keine grandiosen Galaxien.

Die unzähligen Sterne, die seit Jahrtausenden beobachtet wurden, waren längst zerstört und verloschen.

Hier und da trieb noch ein Staubrest...

Von der Erde sah man nach wie vor die Sterne leuchten.

Doch es war nur das Licht, welches die Menschen erst nach Äonen erreichte, obwohl dort nichts mehr glühte.

Der Blick in den Sternenhimmel war nur ein Blick in die Vergangenheit.

Alles, was die Teleskope aufzeichneten, waren nur Schatten des Gewesenen.

Vor Milliarden von Jahren hatte das Universum einmal so ausgesehen, wie von ihnen aufgenommen.

Doch zeitgleich gab es nichts.

Das Universum war leer.

Nur unsere eigene Sonne mit ihren Trabanten trieb darin.

Die Menschen waren entsetzt und verzweifelt.

Karl und Corinna wurden nun verteufelt, als das Paar, das den Menschen den Himmel und die Hoffnung nahm.

Die Entdecker des furchtbaren Sternenportals.

Nun gab es keine Suche nach intelligentem Leben mehr, keine Suche nach einer zweiten Erde.

Denn da war nur das All – kalt und leer und vergangen.

Das Sternentor wurde geschlossen.

Die Teleskope abgebaut.

Ganze Industriezweige verkümmerten.

Auf der ganzen Erde geriet die Wirtschaft ins Chaos - und nicht nur diese.

Die Menschheit verzweifelte.

Karl und Corinna blieben als Weltenzerstörer im Gedächtnis der Menschen.

Doch die Menschen sind anpassungsfähig.

So wandten die Menschen sich anderen Forschungszielen zu.

Nun wurde alles erforscht, was zum Erhalt der Erde und ihrer Sonne beitragen konnte.

Die Raumfahrt hatte eine neue Glanzzeit.

Doch beschäftigte man sich mit den Ressourcen unserer Mitplaneten und nutzte sie.

Die Ökologie der Erde wurde ins Gleichgewicht gebracht.

Der Planet Erde – der Einzige, der Leben beherbergte , im einzigen Sonnensystem des Universums,  blühte zu neuer Schönheit auf.

Die Luft war klar und sauber, ebenso wie die Gewässer.

Mensch und Tier teilten sich den Planeten einvernehmlich.

Des Nachts sah man noch immer den Sternenhimmel über sich, doch betrachteten die Menschen ihn nun ohne Gier.

Schön anzusehen, das Gefunkel längst vergangener Sterne.

Es war aber eben nur ein Blick in die Vergangenheit.

Und die Vergangenheit war vergangen und galt als irrelevant.

Die Zukunft lag allein auf der wunderschönen Erde.

Als dieser Punkt erreicht war, Jahrhunderte nach der Entdeckung und dem Bau des Sternentors, wurden Karl und Corinna rehabilitiert – als das Paar, welches den Menschen die Realität, die Gegenwart, die Zukunft und die Erde schenkte.

 

 

 

 

 

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