Das wertvollste Gut
Sie kamen aus den Tiefen des Alls.
Aber es waren Menschen.
Ihre Vorfahren waren Pioniere bei der Kolonisation des Weltraums – und das mit großem Erfolg.
Die nun bewohnten Welten waren grandios.
Es gab alle Ressourcen, die man benötigte.
Es grünte und blühte und die Ernten waren sehr ertragreich.
Metalle, Mineralien, Kristalle in aller Form waren vorhanden.
Und Ihre Freiheit und Unabhängigkeit waren ihr größtes Gut.
Theoretisch alles Paradiese – theoretisch....
Aber...
Es gab weder Erdöl noch Erdgas.
Die neu besiedelten Welten hatten nie Urwälder, die Erdöl oder Ähnliches hervor gebracht haben könnten.
So war Plastik das seltenste und teuerste Gut.
Und die Erde war ein längst aufgegebener Planet.
Es gab nichts mehr zum Abbauen.
Die Luft war nicht mehr atembar, zumindest nicht ohne Schaden an den Lungen zu nehmen.
Das Land war öde und verwüstet, weil die Menschen den Klimawandel nicht ernst genommen hatten.
Daher hatten die Menschen die Erde aufgegeben.
Die Erde war letztlich unbewohnbar.
Das sagten zumindest die alten Chroniken.
Aber nun – kamen sie zurück.
Sie kamen nur aus einem einzigen Grund.
Sie wollten schürfen.
Keine Mineralien, auch kein Kupfer, Silber, Gold oder sonst ein Metall.
Sie suchten auch kein Salz, Bor oder Uran.
Nichts dergleichen – davon hatten sie genug.
Sie kamen um Plastik zu schürfen..
Denn die Erde war voll von Plastik, gehäuft, gesammelt, vergraben....
Und wie einst beim Goldrausch kamen sie zum Schürfen.
So leicht war das gar nicht.
Die Vorfahren hatten das Plastik nicht einfach rumliegen lassen.
Es war vergraben, versteckt – trieb in den Meeren....
Aber die Schürfer waren zuversichtlich.
Plastik war eine Ressource, die es ansonsten nicht gab.
So war Plastik extrem wertvoll.
Und ob dünne Tüte oder massive Plastikteile – man konnte sie einschmelzen und neu gestalten, neu gebrauchen.... wieder und wieder und wieder...
Wie dumm waren die Vorfahren gewesen – das Plastik zu vergraben oder sonstwie nutzlos zu entsorgen.
Ärgerlich nur, daß man es nun suchen mußte.
Und auf der Erde Plastik zu finden – war auch Glücksache.
Die Vorfahren hatten das wertvolle Material einfach irgendwo vergraben – ohne Markierung oder Ähnliches.
Nur gut, daß Plastik niemals verrottete.
Das machte es ja so wertvoll.
Es war nur so schwer zu entdecken.
Metalle zu finden war leicht – Metalldetektoren kannten schon die Vorfahren.
Aber Plastik?
Kunststoffe?
Die Erde war völlig verändert.
Nichts war mehr zu erkennen – landschaftlich.
Alles sah anders aus...
Immerhin waren Jahrhunderte vergangen.
Die Erde hatte ihr Terrain zurück erobert.
Wohl wechselte Wüste mit üppigen grünen Gebieten ab – doch war nicht zu unterscheiden, wo einst ein bewohnter Ort war – oder eine Müllkippe.
Und die Wüstengebiete konnten ebenso gut Plastikhalden verbergen.
Auch in den Meeren trieb immernoch Plastik – zumindest in einigen Teilen, denn Fische, Meeressäuger und Vögel hatten viel verschlungen und waren daran eingegangen.
Lange her und nicht zu ändern.
Doch nun waren wieder Menschen auf der Erde, anfangs nur wenige.
Sie gruben und suchten und schürften...
Einige hatten Glück und fanden eine Müllhalde mit vielem Plastik.
Sie sammelten es ein, brachten es nach Haus und wurden reich.
Andere suchten jahrelang vergebens.
Auf der ganzen Welt wurde gegraben und geschürft.
Doch – wie bereits erwähnt - die Erde hatte sich weitgehend vom Mißbrauch durch die Menschen erholt.
Sicher, es gab weite Wüsten.
Die gab es zwar zuvor auch schon, nur an anderer Stelle.
Ansonsten war die Erde grün.
Wälder und Wiesen allenthalben.
Wunderbare klare Luft.
Tiere überall, die ganz im Gleichgewicht mit der Natur lebten, wie zu Zeiten der Beherrschung durch die Menschen Jahrhunderte lang nicht.
Denn die Menschen mischten sich ständig in den Lauf der Natur ein – nicht zu deren Vorteil.
Aber nun kamen immer mehr Menschen zurück – um Plastik zu suchen.
Sie kamen aus reichen Welten, in denen alle Metalle, alle Mineralien zu Hauf vorkamen und ohne große Mühen abgebaut werden konnten.
Nur – es gab halt kein Erdöl, um Plastik herzustellen
So überfielen sie den Planeten ihrer Vorfahren, um ihn endgültig auszubeuten.
Und so brachten sie schwere Maschinen.
Damit rissen sie die Erde auf.
Sie fällten die Bäume, durchwühlten die Wüsten, gruben weltweit die Böden auf.
So gründlich waren nicht einmal die Vorfahren gewesen.
Selbst die Meere wurden von ihnen durchpflügt, auf der Suche nach dem kostbaren Plastik, denn sie sammelten das Plastik sogar aus den spärlichen Überresten der Tiere, die am verschluckten Plastik eingegangen waren.
Die meisten Kadaver waren längst verrottet – doch das Plastik war noch da.
Und sie fanden Unmengen Plastik überall auf der Welt.
Zwar fanden sie auch viele Metalle – doch die interessierten sie nicht.
Plastikverpackungen, Plastiktüten, Kinderspielzeug, Kleidung, Bestandteile der verschiedensten Gerätschaften – vom Küchengerät bis zu schweren Maschinen.
Es war ihnen erstaunlich, was die Vorfahren alles aus Kunststoff gefertigt hatten – nur um es als Müll zu entsorgen.
Dabei war Kunststoff, Plastik so vielseitig wiederverwendbar....
Welch eine unsagbare Vergeudung!
Erdöl oder Erdgas gab es schon längst nicht mehr, auch Kohle ließ sich nicht mehr verarbeiten.
Und so gruben sie, sammelten und wühlten bis sie nichts mehr fanden.
Das letzte Stück Kunststoff war geborgen.
Bedauerlich war nur, daß die Vorfahren so viel des Erdöls verheizt hatten, verbraucht für Fabriken, Heizung und ähnliches.
Aber besonders für Treibstoff...
Da gab es doch ganz andere, weniger seltene und bessere Möglichkeiten.
Schade um diesen Verlust – einfach in die Luft geblasen.
Sehr zum Schaden ihrer einstigen Umwelt, denn damit machten sie die Erde für sich unbewohnbar.
Und nun schafften die Nachfahren diese Unmengen einstigen Mülls durch die Weiten des Alls auf ihre eignen Welten.
Doch was ließen sie zurück?
Sie hatten die Erde gewissermaßen auf den Kopf gestellt, das Innerste nach außen gekehrt.
So zerstört war die Erde seit ihren Anfangszeiten nicht mehr gewesen.
Kein grüner Halm war zu sehen.
Die Tiere fanden keine Nahrung und starben zu Hunderttausenden.
Die Meere waren trübe und zerwühlt.
Vielerorts gab es nur nacktes Gestein.
Das Wort „verwüstet“ war völlig unzureichend für diese Verheerung.
Doch das interessierte niemanden.
Niemand warf einen Blick zurück.
Die Erde trieb endgültig unbewohnbar auf ihrer steten Bahn wie seit Jahrmillionen.
Die Sammler und Wühler wurden auf ihren Welten als Helden gefeiert.
Sämtlicher Kunststoff wurde aufbereitet und die Welten blühten mit seiner Hilfe zu unerwarteter Größe auf.
Wurde ein Gegenstand nicht mehr benötigt, gelangte er umgehend in den Kreislauf aus Recycling und Gebrauch, denn aufgrund ihrer hohen Technologie war das Aufbereiten und neu Verwenden
nicht nur preiswert, sondern es gab keine Verluste während des Vorgangs und ihre reine Luft blieb erhalten.
Niemals käme dort jemand auf die Idee, auch nur ein Gramm des wertvollen Stoffes zu verschwenden.
Und der kostbare, unverrottbare unglaubliche Stoff wurde wieder und wieder und wieder verwendet und genutzt – viele Jahrhunderte lang.
Und obgleich die Erde, seit sie gekommen waren, um Plastik zu suchen, fast vergessen war – gab es Menschen, die sich ihrer erinnerten.
Obgleich es klar war, daß auf der Erde nichts mehr zu holen war, machten sie sich auf den Weg, die alte Erde aufzusuchen, um Abbitte zu leisten.
Doch auch die Erde hatte Jahrhunderte Zeit gehabt, diese verheerende Ausbeutung, diese furchtbare Verwüstung, diese Vergewaltigung des Planeten zu verwinden.
Zwar hatten die Menschen keinen grünen Halm gelassen, doch lag Samen im verwüsteten Boden.
Die Erde hatte Zeit und begann von Neuem.
Auch hatten einige Tiere die Katastrophe überlebt.
Es gab Wasser und Regen.
Die Sonne schien nach wie vor auf die Erde herab.
Und so erblühte die Erde wieder zu neuem Leben.
Endlose Wälder bedeckten ihre Blöße.
Steppen und Savannen umspannten die Welt.
Dschungel schützten die Böden der heißen Äquatorgegenden, Regenwälder sorgten für Feuchtigkeit.
Flüße und Seen schimmerten silbern in der Sonne.
Und die Natur liebte ihre Geschöpfe.
So gab es Insekten und dergleichen.
Schmetterlinge gaukelten durch die Weiten der Wiesen.
Bienen bestäubten die Pflanzen.
Bunt schillernde Käfer allenthalben und Vögel schwangen sich durch die Lüfte.
Riesige Herden von Pflanzenfressern zogen durch die grenzenlosen Savannen, Steppen und Prärien.
Ihnen folgten Fleischfresser wie in alten Tagen.
Aasfresser sorgten dafür, daß Beutereste verschwanden.
Pilze und Insekten zersetzten altes Gehölz.
Wundervolle bunte Blumen blühten und vergingen.
Obstbäume fanden überall ihr Auskommen.
Die Luft war klar und blau, während zarte Wölkchen über den Himmel trieben.
Überall sirrte und schwirrte es und die Vögel sangen ihre Lieder.
Die Meere wiegten sich im Rhythmus der Gezeiten und wimmelten vor Leben.
An den Küsten sonnten sich Meeressäuger, umschwärmt von Möwen.
Alljährlich eilten tausende winziger Schildkröten in die Meere.
Und riesige Mangrovenwälder säumten viele Meeresgestade.
Da kamen die Menschen wieder.
Doch in den Jahrhunderten, die seit dem Verlassen der Erde vergangen waren, hatten sich die Menschen tatsächlich weiter entwickelt.
Sie sahen das Wunder, welches die Erde vollbracht hatte.
Die Schönheit der Welt brachte sie zum Erstaunen.
Und die Vielfalt des Lebens setzte sie in Verzückung.
Die meisten Menschen fanden diese Welt so unwahrscheinlich schön, daß sie kleine Hütten bauten.
Die Übrigen kehrten mit dem Bericht vom Wunder der Erde in ihre Welten zurück.
Die Zurückgeblieben aber hatten Ehrfurcht vor der Natur, ihrer Hartnäckigkeit, ihrem Lebensdrang und ihrer unvergleichlichen Schönheit.
Sie würden die Erde neu besiedeln.
Sie würden den Planeten niemals drangsalieren, sondern sich anpassen.
Sie würden nur nehmen, was sie wirklich brauchten, ohne die Natur zu mißbrauchen.
Sie würden keine riesigen Städte bauen, kein Wasser verschwenden, nicht den Boden unnütz aufgraben, die Luft nicht verpesten und die Tierwelt nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
Sie würden niemals Straßen brauchen.
Sie würden keine Müllhalden benötigen, denn es würde keinen Müll geben, da sie alles verwerten konnten.
Sie waren eben nicht wie die Vorfahren.
Und auch nicht, wie die Glücksritter, die ihr Plastik heim brachten.
Sie liebten die herrlichen Landschaften.
Sie brauchten keine Bodenschätze.
Und sie brauchten kein Plastik.
Sie brauchten die Schönheit und den Frieden, die Harmonie dieser erholten Welt.
Die Erde war ihnen das wertvollste Gut im bekannten Universum.
Und sie bewohnten die Erde, machten sie zum Planeten des Einklangs.
Denn sie lebten mit dem Planeten, nicht gegen ihn.
Und der Planet Erde dankte es ihnen.
Zum ersten Mal lebten nun Menschen auf der Erde, die die Bezeichnung Mensch auch verdienten.
Und Menschen und Erde verbanden sich zu einer Gemeinschaft, die Bestand haben würde.
Und es wurde endlich das Paradies auf Erden.
2015