Akiro 16.05.15
Was für ein trauriger Maitag...
Es ist grau, kalt und verregnet – nichts mit lieber Mai und spazierengehen.
Aber ich hab keine Lust, mir davon die Laune verderben zu lassen.
Immerhin sitze ich warm und trocken.
Und Müßiggang beginnt im Kopf, also schreibe ich, statt was zu tun.
Da muß ich an einen warmen, sonnigen Tag im Mai vor zwei Jahren denken.
Ich hatte meinen Hund Akiro erst seit März und wir lernten uns noch kennen.
Doch zur Erklärung:
Akiro wurde mir von einer Nachbarin ans Herz gelegt, denn er war schon drei Jahre alt und sollte ansonsten ins Tierheim.
Damals hieß er Jacki...das sagt doch schon alles.
Meine Nachbarin wußte, daß ich immer Hunde hatte - und meinen Alfred im Oktober zuvor einschläfern lassen mußte.
Eigendlich war ich noch viel zu traurig für einen neuen Hund.
Aber ich sagte zu, mir den Hund wenigstens mal anzusehen.
So wartete ich auf die erste Begegnung.
Und dann kamen sie... die Nachbarin und ihr Bekannter mit dem Hund.
Der Hund trug ein Geschirr mit kurzgehaltener Leine.
Ein war senffarbenes Tier, mittelgroß und erinnerte an einen Pitbull...
In den Papieren stand Labrador-Mix.
Jacki zog an der Leine und meine Nachbarin tobte mit ihm herum, während ich mit dem Mann sprach.
Er erklärte mir, der Hund sei eigendlich sehr brav und er sei schonmal drei Stunden allein
geblieben - in den drei Jahren seines Lebens.
Der Hund zog die Lefzen hoch und zeigte dabei die Zähne – aber nicht aggressiv, sondern verunsichert.
Und er bibberte am ganzen Leib, wie diese kleinen Pinscher, die immer bibbern.
Da sah ich dem Hund tief in die Augen und sagte: „Den können sie gleich hierlassen – ich behalte ihn.“
Denn ich sah in ganz liebe Augen, die von seiner Friedfertigkeit zeugten.
Ich sah, daß der Hund innerlich gefestigt war und irgendwann demnach auch bessere Zeiten gesehen hatte.
Und was für mich wichtig war – er war kein dominanter Hund.
Sein Besitzer drückte mir die Leine in die Hand und erklärte mir noch, wenn der Hund einen Maulkorb trüge, würde er nicht so ziehen.
Er holte einen Maulkorb aus seiner Tasche und legte ihn auf den Sessel.
Dann ging er und die Nachbarin mit ihm.
Kein Abschied, keine Decke, kein Futter, Spielzeug oder Leckerli.
Kein Blick zurück als er ging.
Und was Wunder – der Hund jammerte ihm nicht hinterher.
Ich nahm dem Hund ersteinmal Geschirr und Leine ab.
Er war von Beginn sehr lieb und friedlich, nachdem Ruhe einkehrte.
Wir machten uns langsam und in Ruhe bekannt.
Das heißt, ich ließ ihn erstmal in Ruhe, damit er sich eingewöhnen konnte.
Aber eine meiner ersten Amtshandlungen war, ihm einen anderen Namen zu geben.
Jacki ist kein Name für einen solchen Hund.
Ich versuchte es mit Aki, weil es ähnlich klang – keine Reaktion.
Da versuchte ich es mit Lautmalerei – und bei Akiro flog sein Kopf zu mir.
Nun heißt er Akiro.
Beim ersten Spaziergang zog der Hund so sehr, daß ich ihn eher trug, als daß er lief.
So kaufte ich ihm ein Halsband und eine Flexleine mit fünf Metern Länge.
Später erzählten mir Leute, die den Hund kannten, er durfte nur von A nach B , um dort dann zu übernachten, denn der Besitzer gab ihn fast ständig weg zu anderen Leuten.
Ansonsten ließ er das arme Tier nur auf den Hof und wieder rein.
Nun sind die Höfe in Berlins Wohngegenden nun wirklich kein Ersatz für Auslauf.
Es dauerte Wochen, ehe das Bibbern des Hundes nachließ.
Selbst heute, mehr als zwei Jahre später, bibbert er, wenn er unsicher ist.
Als ich das erste mal mit Akiro sprach, drehte er sich suchend um, mit wem ich denn redete.
Er war sehr erstaunt, daß ich ihn meinte.
Inzwischen versteht er mich recht gut – und ich ihn.
Akiro war es nicht gewohnt, lieb und zärtlich gestreichelt zu werden – er wurde nur geklopft, von wegen – so ein Feiner.
Toben kannte er nur als Zerr-und Beißspiel, doch merkte ich von Anfang an, er wollte so gern seine Ruhe haben.
Liegen, dösen, aufpassen, wenn jemand durchs Haus geht und ab und zu mit Bällchen spielen.
Draußen erschrak er vor Allem – Vögeln im Gebüsch, dem Klang der Kirchenglocken, dem Piepsen des Fahrstuhlknopfes an der U-Bahn, anderen Hunden.
Er kannte das alles nicht.
Aber er war nicht ängstlich, nur erschreckt.
Ganz offensichtlich hatte er kein gutes Leben gehabt, geschlagen, gezupft und gerupft.
Erziehung hatte er nur noch ganz verschwommen in der Erinnerung, mit Sicherheit nicht von seinem Vorbesitzer.
Das hieß für mich quasi bei null anfangen, trotz seines Alters.
Doch durch die lange Leine und der damit verbundene Bewegung nahm sein Übergewicht schnell ab.
Nun sah und sieht er keineswegs mehr nach Pitbull aus...
Im Gegenteil – er ist ein sehr hübscher Hund und sieht in der Sonne aus, wie aus poliertem Holz.
Es hat lang gedauert, bis er Vertrauen zu mir faßte und von selbst meine Nähe suchte.
Heute ist er ein gut erzogener, fast immer gehorsamer Hund, der mit mir eine immer bessere Gemeinschaft bildet, und das nicht auf Befehl, sondern von sich aus.
Doch zurück zu dem Maitag, den ich eingangs erwähnte.
In der Nähe ist ein schöner, kleiner Park mit einem kleinen Teich, der einmal Feuerlöschteich war.
Dorthin gingen wir an diesem Morgen.
Noch waren wir in der Kennlernphase und ich hielt ihn kurz und blieb vorsichtshalber stehen, wenn andere Hunde vorbei kamen.
Doch an diesem Morgen waren wir ganz allein im Park und ich ließ ihn an der langen Leine laufen.
Das heißt, ich verband die Lederleine mit der Fünfmeterleine und so hatte er noch anderthalb Meter mehr Spielraum.
Ich setzte mich an einer großen Wiese auf die Bank und ließ ihn so herumlaufen.
Die Sonne spielte mit den jungen Blättern der Bäume, kleine Wölkchen hingen am Himmel, Vögel sangen und es war so friedlich und schön...
Akiro lief auf der Wiese herum, schnupperte hier und da und plötzlich sah ich meine verstorbenen Hunde – Alfred und seine Mutter Sandy, die zwei Jahre vor Alfreds Tod in meinen Armen starb.
Früher war ich mit den beiden oft in diesem Park gewesen.
Doch dann sah ich, wie Sandy zu Akiro ging und mit ihm zu spielen begann.
Alfred war zwar nicht so begeistert, doch wenn er seiner Mutter gefiel... und so spielten sie zu dritt.
Es ging eine ganz Weile so und ich sah faziniert zu.
Dann waren Sandy und Alfred verschwunden, Akiro legte sich hechelnd zu mir an die Bank und es kamen Leute um die Ecke.
Inzwischen war es bald Mittag und ich ging mit Akiro heim, in dem sicheren Gefühl, die beiden hatten Akiro als Nachfolger akzeptiert.
Vielleicht bin ich ja eingenickt und habe alles nur geträumt, auch wenn ich das nicht glaube.
Doch Akiro war geschafft von dem Getobe.
Und ich sah ihn nie wieder allein draußen toben oder spielen.....
Es war schon irritierend, einen dreijährigen Rüden zu handhaben, der keinerlei Erziehung hatte.
Akiro war halt nur weder ein dominanter Hund, der mir den Rang streitig machen wollte, noch ein starrsinniger Hund, der nur seinem Kopf folgte.
Im Gegenteil – er war und ist ein lieber, friedfertiger Hund, in sich gefestigt, in sich ruhend.
Er sucht jemanden, der ihm Linie gibt und im klarmacht, was erwartet wird.
Was ich anfangs für Erziehung hielt, entpuppte sich als sein eigner Weg, seine Ruhe zu haben.
Immer nach dem Motto – wenn ich dies oder das nicht tue, werde ich nicht beachtet.
Er nimmt mich als seine Alphahündin an.
Er gehorcht und verhält sich respektabel, aber als sei ich eine Hündin.
Erst nach und nach fand er den Weg, mit mir zu kommunizieren.
Heute klappt es ganz gut.
Er weiß, daß er seinen Kopf benutzen soll und eigenen Ideen folgen darf, solange ich nichts anderes erwarte, denn gewisse Regeln müssen eingehalten werden.
Anfangs gab es Unsicherheit beim Spazierengehen.
Er knurrte und kläffte jeden Hund an.
So hielt ich ihn kurz und wartete, bis der andere vorbei gegangen war, ehe wir weitergingen.
Das hatte er dann schnell begriffen, denn ich lobte ihn, wenn er nicht bellte.
Schon bald genügte es, ihn kurz zu halten, aber wir konnten an jedem Hund vorüber gehen.
Dann ging ich mit ihm zu einem unbebauten Gelände in Nähe, wo nur selten Hunde hinkommen.
Dort konnte er ohne Leine laufen.
Das gefiel ihm natürlich und ich lernte, daß er nicht allzuweit fortlief und zu mir kam, wenn ich ihn rief.
Das ermutigte mich und ihn auch.
So fuhr ich bald mit ihm an die Stadtgrenze, dorthin, wo einst die Mauer stand.
An dem ehemaligen Mauerstreifen ist heute freies Gelände, viel besucht von Hundebesitzern.
Und dort zeigte Akiro, was in ihm steckt.
Er lief ohne Leine herum und spielte mit den anderen Hunden.
Es gab weder Geknurre noch Gebeiße, im Gegenteil – er fiel anderen Hundebesitzern als besonders lieb und friedlich auf.
Das freute mich natürlich.
Bald fuhren wir zum Grunewald und dem Grunewaldsee.
Und wieder lobten andere Besitzer sein umgängliches Wesen.
Demnach hatte er viel von seiner Mutter gelernt, was den Umgang mit Hunden anlangt.
Das erklärte auch seinen Umgang mit mir.
Da man ihn offenbar nicht den Umgang mit Menschen lehrte, ging er mit Menschen um, wie mit Hunden.
So verstand ich Akiro und sein Verhalten besser und konnte mit ihm leichter umgehen.
Es ist schon erstaunlich, wieviel ich durch ihn lernte und er durch mich.
So kamen und kommen wir uns immer näher.
Nur – Baden ist nicht sein Ding... hihi
Er lief am Grunewaldsee immer nur am Wasser entlang, nicht hinein.
Nun, darüber bin ich – ehrlich gesagt - nicht böse, denn Sandy und Alfred war jede Pfütze recht und so manches mal mußte ich mit tropfenden Hunden im Bus nach Haus fahren.
Und Akiro findet Wald nicht halb so spannend, wie Spaziergänge durch die Straßen Berlins.
Er läuft lieber an seiner langen Leine da, wo es was zu sehen gibt, als ohne Leine da, wo nur Bäume rumstehen.
So ist halt jeder anders und hat andere Vorlieben – auch Hunde.
Nun unternehme ich mit ihm Ausflüge, von der Spree mit Plänterwald bis in die Straßen Neuköllns.
Berlin ist riesig und wir haben viel Gelegenheit zum Spazieren, wenn das Wetter mitspielt.
Ich kann ihn überall mit hinnehmen, denn er benimmt sich und verträgt sich mit den meisten Hunden gut, trotzdem beide angeleint sind, oder auch nur er.
Seine Freundin ist eine winzige Chihuahua- Hündin, kaum größer als sein Kopf, die ohne Leine laufen darf.
Doch Akiro in den Straßen ohne Leine laufen zu lassen, ist mir zu riskant.
Ich bin so froh, ihn zu haben, und ich habe mich nicht geirrt, als ich ihm das erste mal in die Augen sah.
Inzwischen ist Akiro mein Hund und er betrachtet mich als sein.
So sollte es sein.